Datum | 15.09.2024 |
Ort | Zürich |
Gast | Michel Guillaume |
Interviewerin | Riva Pinto |
Drohnen kommen längst in zahlreichen Industrien zum Einsatz – von der Infrastrukturinspektion bis hin zu modernen Logistiklösungen. Doch um Drohnen in der Zukunft sicherer, leistungsfähiger und für noch mehr Anwendungsfälle tauglich zu machen, müssen technologische Fortschritte Hand in Hand mit fortschrittlichen Testverfahren und klaren regulatorischen Rahmenbedingungen gehen. Prof. Dr. Michel Guillaume, Experte für Luftfahrzeugstrukturen und Drohnentechnologie an der ZHAW, arbeitet genau an dieser Schnittstelle. Im Interview gibt er Einblicke in die neuesten Entwicklungen in der Drohnentechnologie, erklärt, warum innovative Testmethoden von entscheidender Bedeutung sind und diskutiert die Herausforderungen und Chancen einer klaren Regulierung für die Zukunft der unbemannten Luftfahrzeuge.
Riva Pinto: Wie hat sich die zivile Nutzung von Drohnen in den letzten Jahren entwickelt, und welche technischen Innovationen haben den Einsatz von Drohnen besonders vorangetrieben?
Prof. Dr. Michel Guillaume: Heute sind Drohnen deutlich günstiger und technisch ausgereifter geworden. Besonders in der Bildverarbeitung haben sie enorme Fortschritte gemacht und werden vermehrt für Inspektionen, Vermessungen oder Logistiklösungen eingesetzt. Ein wichtiger Vorteil ist die Zeitersparnis, die durch ihren Einsatz erzielt wird.
Eine große Herausforderung bleibt jedoch das aktuelle EU-weite Regelwerk. Wer außerhalb des Sichtbereichs fliegen möchte, muss eine Risikoanalyse durchführen und mit den Behörden zusammenarbeiten, um Sicherheit zu gewährleisten. Hier gibt es noch einige Hürden, doch mit fortschreitender Regulierung und besserer Technologie sehe ich großes Potenzial – insbesondere durch Künstliche Intelligenz. KI kann nicht nur bei der Steuerung helfen, sondern auch bei der Auswertung der gesammelten Daten, was in Zukunft eine große Rolle spielen wird.
Pinto: Hat die zunehmende Verbreitung von Drohnen den Bildungssektor in der Aviatik beeinflusst? Gibt es ein gesteigertes Interesse von Studierenden an Drohnentechnologie? Und welche neuen Berufsfelder oder Marktschancen entstehen dadurch?
Guillaume: Ja, das Interesse an Drohnentechnologie wächst definitiv, auch unter Studierenden. Allerdings liegen die meisten Chancen derzeit in Start-ups, während es noch wenige etablierte Unternehmen gibt, die in diesem Bereich großflächig tätig sind. Das hemmt manche Studierende, in die Branche einzusteigen.
Die zentrale Schwierigkeit liegt darin, Drohnentechnologie wirtschaftlich erfolgreich in den Luftraum zu integrieren. Es gibt bereits funktionierende Anwendungen, aber der Weg zu profitablen Geschäftsmodellen ist langwierig. Ein gutes Beispiel ist Matternet. Sie haben bereits vor Jahren begonnen, medizinische Proben per Drohne zu transportieren, doch bis zur vollständigen Automatisierung ihres Systems werden noch weitere Jahre vergehen. Das zeigt, wie viel Zeit und Aufwand für Tests, technische Weiterentwicklungen und behördliche Genehmigungen erforderlich sind. Hier sehe ich auch die Herausforderung: Viele Studierende könnten sich von diesen langen Entwicklungszeiten abschrecken lassen. Jedoch sind auch Fortschritte zu beobachten: Swisscom hat kürzlich angekündigt, Drohnen für Einsatzkräfte bereitzustellen. Solche Initiativen zeigen, dass die Branche wächst und neue Berufsfelder entstehen.
Pinto: Was ist deine Vision für die Zukunft der Drohnentechnologie in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Welche Entwicklungen können wir erwarten?
Guillaume: Im Bereich der Vermessung sind Drohnen bereits Standard, aber ich sehe noch enormes Potenzial bei Inspektionen, etwa für Hochspannungsleitungen oder Pipelines über weite Strecken. Auch für Überwachungszwecke bieten sich noch Möglichkeiten, insbesondere wenn wir Drohnen entwickeln, die länger fliegen können. Ein großes Hindernis ist derzeit die begrenzte Akkulaufzeit. Multikopter können in der Regel maximal 30 Minuten fliegen, was die Einsatzmöglichkeiten einschränkt. Hier gibt es Ansätze, etwa durch Drohnen mit Flächenflügeln oder alternative Antriebe wie Wasserstoff, die eine längere Flugzeit ermöglichen könnten. Zudem sehe ich große Chancen für den Bereich der spezialisierten Lieferungen, insbesondere für zeitkritische medizinische Transporte.
Pinto: Inwiefern tragen Testgelände zu dieser Weiterentwicklung der Drohnentechnologie bei und welchen Beitrag kann das LINA-Projekt hier leisten?
Guillaume: Jede Technologie muss vor ihrer Marktreife ausgiebig getestet werden. Eine Drohne muss beispielsweise bei leichtem Regen und Seitenwind sicher fliegen und in der Lage sein, um eine Hausecke zu manövrieren. Dafür braucht es Testgebiete, in denen man Hunderte bis Tausende Flugstunden nachweisen kann, um eine Zulassung für den Betrieb außerhalb des sichtbaren Bereichs zu erhalten. Das LINA-Projekt ist in diesem Zusammenhang sehr wertvoll.
Es wäre ideal, wenn wir mehrere spezialisierte Testgebiete hätten: einige für experimentelle Technologien, in denen höhere Risiken erlaubt sind, und andere für ausgereifte Produkte, die kurz vor der Markteinführung stehen. Die Schweiz hat eine weltweit führende Position in der Drohnentechnologie, und um diese weiter auszubauen, brauchen wir zugängliche Testgebiete mit klaren Kriterien.
Pinto: Gibt es noch weitere Faktoren, die für diese Zukunftsvisionen der Drohnentechnologie wichtig wären? Hast du bestimmte Vorstellungen oder Wünsche? Wo siehst du mögliche Hürden?
Guillaume: Es ist entscheidend, dass wir in der Schweiz über alle Regionen und Branchen hinweg zusammenarbeiten. Wir brauchen effiziente Testzentren im ganzen Land mit einheitlichen Betriebsregeln, um die Interessen der Industrie, der Akademie und der Behörden zu vereinen.
Eine große Herausforderung besteht darin, zu klären, wer die Verantwortung trägt, da verschiedene Gruppen involviert sind und häufig Interessenkonflikte bestehen. Das erfordert viel Kommunikation und Austausch zwischen den Akteuren. Zudem müssen wir sicherstellen, dass militärische und zivile Bedürfnisse vereint werden. Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass Drohnen im militärischen Bereich eine wichtige Rolle spielen. Wir müssen daher sicherstellen, dass die militärischen und zivilen Interessen in unseren Testzentren berücksichtigt werden. Eine enge Zusammenarbeit ist entscheidend.
Pinto: Denkst du, dass Aufklärungsarbeit im zivilen Bereich auch wichtig ist, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen?
Guillaume: Absolut. Viele Menschen haben noch Vorbehalte gegenüber Drohnen – sei es wegen Datenschutzbedenken oder Sicherheitsfragen. Umfragen zeigen, dass Drohnen für medizinische Transporte eine höhere Akzeptanz genießen. Dennoch gibt es Unsicherheiten: Was filmen Drohnen? Was passiert, wenn sie abstürzen? Viele Menschen haben Angst vor den Folgen der Digitalisierung, wie etwa Arbeitsplatzverlust, und stellen infrage, ob diese Entwicklung wirklich die Zukunft ist. Diese Bedenken müssen ernst genommen werden, denn Drohnen sind Teil der Digitalisierung. Ähnliche Diskussionen gab es bereits bei der Einführung von 5G oder anderen digitalen Technologien. Aufklärungsmaßnahmen sind hier entscheidend, um der Bevölkerung zu zeigen, wie Drohnen bestehende Technologien sinnvoll ergänzen und die Lebensqualität verbessern können.
Pinto: Vielen Dank für das spannende Gespräch!