| Ort | Zürich |
| Gast | Thomas Anken von Agroscope |
| Interviewer | Riva Pinto |
Wie lassen sich digitale Technologien sinnvoll in die Landwirtschaft integrieren? Und welches Potenzial haben autonome Systeme, um Produktion nachhaltiger, präziser und ressourcenschonender zu gestalten? Thomas Anken, Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Produktion“ bei Agroscope, arbeitet an praxistauglichen Lösungen, die Landwirt:innen entlasten, Umweltbelastungen reduzieren und neue Perspektiven eröffnen. Im Interview gibt er Einblick in aktuelle Entwicklungen im Bereich Smart Farming – von sensorgestützter Datenerhebung über automatisierte Pflegesysteme bis hin zum Einsatz von Drohnen zur biologischen Schädlingsbekämpfung. Ein Gespräch über technologische Chancen, gesellschaftliche Herausforderungen und die Frage, wie sich Landwirtschaft in den der Zukunft verändern könnte.
Agroscope: smartfarming.agroscope.ch
Riva Pinto: Was hat dich ursprünglich motiviert, dich mit der Digitalisierung in der Landwirtschaft und insbesondere mit autonomen Systemen zu beschäftigen?
Thomas Anken: Ganz klar das Ziel, landwirtschaftliche Produktionssysteme nachhaltiger, effizienter und präziser zu gestalten. In der Landwirtschaft gibt es viele Ungenauigkeiten und Überschüsse. Wenn man Zustände misst und gezielt managt, lassen sich diese verbessern. Der nächste Schritt nach der Mechanisierung ist die gezielte Verfeinerung.
Pinto: Du leitest die Forschungsgruppe „Digitale Produktion“ bei Agroscope. An welchen konkreten Anwendungen oder Projekten arbeitet ihr dort aktuell?
Anken: Wir sind breit aufgestellt. Eine gute Übersicht findet man auf smartfarming.agroscope.ch. Unsere Themen reichen von Pflanzenschutzprognosen über Bewässerungssysteme bis zur ortsspezifischen Düngung mithilfe von Satellitenbildern. Dazu kommen viele Bildverarbeitungsanwendungen: Wir entwickeln etwa Systeme zur Krähenabwehr oder zur Verhaltensanalyse bei Schweinen. Es geht viel um Objekterkennung, und Machine Learning.
Pinto: Was genau versteht man unter „Smart Farming“ und welche Ziele werden damit verfolgt?
Anken: Im Kern geht es darum, digitale Technologien wie Cloud-Infrastrukturen und das Internet of Things in die Landwirtschaft zu integrieren, um Daten zu erfassen, auszutauschen und Prozesse gezielter zu steuern. Man spricht dabei auch von Landwirtschaft 4.0. Die gesamte Produktion wird vernetzter, präziser, zentral steuerbar – ähnlich wie man es in der Industrie kennt. Begriffe wie Smart Farming, Precision Farming oder Digital Farming werden dabei oft gemischt verwendet, ganz trennscharf sind sie nicht.
Pinto: Was sind derzeit die größten Herausforderungen in der Schweizer Landwirtschaft und wie setzt ihr genau dort an?
Anken: Pflanzenschutz, Stickstoffüberschüsse und Methanemissionen gehören sicher zu den großen Themen. Daneben gibt es auch viele kleinere Baustellen: Wie lässt sich zum Beispiel eine Heubelüftung intelligenter steuern? Wir schauen jeweils, welche Technologien bereits existieren und wie wir sie sinnvoll in der Praxis einsetzen können.
Pinto: Wie können Sensoren und Datenanalyse dabei helfen? Und wie werden die Daten erhoben und genutzt?
Anken: Wir suchen laufend nach geeigneten Sensoren, um bestimmte Zustände in der Landwirtschaft zu erfassen. Zum Beispiel messen wir Nitrat im Boden zur besseren Düngung oder überwachen Temperatur und Luftfeuchtigkeit in Heubelüftungen, um diese effizient zu steuern. Wir arbeiten auch an Bildverarbeitungssystemen, die Insekten oder Unkräuter wie Ampfer auf Wiesen erkennen, damit gezielt eingegriffen werden kann.
Am Anfang steht immer die Frage, was wir messen wollen. Dann wählen wir passende Technologien wie Kameras, ionenselektive Elektroden oder mechanische Sensoren und entwickeln daraus Systeme, die landwirtschaftliche Prozesse verbessern.
Pinto: Auch Drohnen und Multicopter kommen in euren Projekten zum Einsatz. Welche Möglichkeiten eröffnen sich dadurch?
Anken: Der Schwerpunkt liegt aktuell auf Sprühdrohnen. Davon sind in der Schweiz mittlerweile rund 90 Stück im Einsatz. Eine zentrale Anwendung ist die Ausbringung von Trichogramma-Larven zur biologischen Bekämpfung des Maiszünslers. Aber auch Schneckenkorn oder Saatgut wird auf diese Weise verteilt. Weitere Einsatzfelder sind das Monitoring von Wäldern, etwa um abgestorbene Fichten zu identifizieren, die vom Borkenkäfer befallen sind. Auch das Weißeln von Gewächshäusern zur Reduktion von Sonneneinstrahlung im Sommer gehört dazu. Insgesamt gibt es also eine wachsende Zahl an Anwendungen – nicht riesig, aber doch genug, dass man sagen kann, dass eine kleine, aber wachsende Industrie entstanden ist.
Pinto: Und diese Systeme agieren autonom? Wie wichtig ist dabei KI?
Anken: Ja, alle unsere Drohnen fliegen autonom, allerdings meist noch ohne den Einsatz von KI. Die Navigation basiert in der Regel auf geodätischen Daten, also 3D-Höhenprofilen, die vorab geplant und dann abgeflogen werden. Zwar verfügen viele Modelle über Radarsysteme, aber meines Wissens ist dort bisher wenig künstliche Intelligenz integriert. KI kommt bei uns vor allem bei der Bilderkennung zum Einsatz, etwa zur Identifikation von Unkraut aus der Luft.
Pinto: Die Landwirtschaft ist ein sehr alter und traditionsreicher Beruf. Wie aufgeschlossen sind Landwirt:innen gegenüber solchen Technologien?
Anken: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt immer Pioniere. Aber bis eine neue Technologie breit akzeptiert ist, dauert es oft Jahre. Der Melkroboter ist ein gutes Beispiel. Den gibt es seit 30 Jahren aber erst in den letzten fünf Jahren haben sich die Zahlen explosionsartig entwickelt. Heute wird über ein Fünftel der Milch in der Schweiz von Robotern gemolken.
Pinto: Welche Bedenken oder Widerstände gibt es von Seiten der Landwirt:innen?
Anken: Ein Thema wäre der Datenschutz. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Digiflux, bei dem sich einige Landwirt:innen geweigert haben, ihre Daten weiterzugeben. Einerseits geht es um Vertrauen, denn viele haben Sorge, dass ihre Informationen missbraucht werden könnten. Andererseits bedeutet mehr Transparenz auch weniger Spielraum für individuelle Interpretationen oder Ausnahmen. Das führt schnell zu Spannungen.
Pinto: Und welche Rolle nimmt der Mensch ein, wenn Agrarsysteme zunehmend automatisiert werden?
Anken: Die Rolle verändert sich stark. Weniger Handarbeit, mehr Kopf- und Systemarbeit. Die Betriebe werden größer, der Druck nimmt zu. Technisches Verständnis wird zentral, denn man muss die Maschinen warten, bedienen, kontrollieren.
Pinto: Ist die Akzeptanz für neue Technologien in diesem Bereich vor allem davon abhängig, ob Arbeitsaufwand, Zeit oder Kosten reduziert werden oder spielen auch andere Aspekte eine Rolle?
Anken: Effizienz und Wirtschaftlichkeit sind sicher wichtige Argumente aber längst nicht die einzigen. Die emotionale Komponente spielt eine viel größere Rolle, als man denkt. Eine Technologie muss nicht nur funktionieren, sie muss auch ansprechen. Wenn etwas als attraktiv und innovativ empfunden wird, steigt die Bereitschaft zur Anwendung deutlich. Umgekehrt kann Skepsis oder Unsicherheit eine enorme Hürde sein. Das hat man beispielsweise auch bei der Elektromobilität gesehen. Da gibt es viele Vorbehalte, wie etwa, dass E-Autos im Winter nicht zuverlässig sind. Solche Wahrnehmungen beeinflussen die Akzeptanz mindestens genauso stark wie rationale Argumente. Es ist also nicht immer vorhersehbar, welche Technologien sich durchsetzen. Der Weg in die Praxis hängt oft weniger von der Technik selbst ab als von der Frage, wie sie wahrgenommen wird.
Pinto: Du arbeitest an der Schnittstelle von Forschung und Praxis. Wie wichtig ist es, Technologien unter realen Bedingungen zu testen und was braucht es, damit neue Systeme in die breite Anwendung finden?
Anken: Ein funktionierender Prototyp ist oft nur der Anfang, also vielleicht zehn Prozent des Weges. Die eigentliche Herausforderung beginnt mit der Umsetzung in der Praxis: Sicherheitsanforderungen, Alltagstauglichkeit, Akzeptanz bei den Landwirten. Erst dort zeigen sich die entscheidenden Schwachstellen, die man im Labor gar nicht vorhersehen kann. Damit neue Systeme wirklich funktionieren und angenommen werden, müssen sie sich im realen Einsatz bewähren und dafür braucht es Zeit, Geduld und viele Praxistests.
Pinto: Wenn du in die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre blickst: Welche Entwicklungen im Bereich autonomer Systeme und digitaler Landwirtschaft hältst du für besonders prägend oder transformativ?
Anken: Ich denke, autonome Fahrzeuge werden sich mit der Zeit durchsetzen, vor allem bei Pflegearbeiten. Bei großen, zeitkritischen Aufgaben wie der Ernte oder der Aussaat sehe ich eher weniger Potenzial, weil die verfügbaren Zeitfenster einfach zu kurz sind. Aber für kleinere, regelmäßig wiederkehrende Arbeiten wie im Stall sind autonome Systeme sehr gut geeignet.
Ein Bereich, der sich schon jetzt stark verändert hat, ist das Tiermanagement. Mittlerweile nutzen wir Technologien, die vergleichbar sind mit Fitness-Trackern beim Menschen. Diese Systeme liefern rund um die Uhr Daten zu einzelnen Tieren, ermöglichen eine genaue Beobachtung und verbessern die Steuerung ganzer Herden. Es ist wirklich erstaunlich, wie weit diese Technik bereits ist, das hätte man vor einigen Jahren noch nicht vermutet.
Insgesamt wird es in Zukunft immer mehr darum gehen, Prozesse in der Landwirtschaft gezielter zu steuern, etwa durch Automatisierung, durch Sensorik, durch Systeme, die kontinuierlich Daten liefern und daraus lernen. Es gibt in diesem Bereich noch viele Ansatzpunkte, die in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen werden.