Flugroboter statt Lieferwagen

Datum 21.12.2024
Ort Zürich
Gast Matternet: Tom Rehwinkel und Peter Trempeck
Interviewerin Riva Pinto

Kontext

In einer Welt, in der städtische Logistik zunehmend an ihre Grenzen stösst, setzt das kalifornische Unternehmen Matternet auf autonome Drohnennetzwerke. Seit 2011 entwickelt Matternet Technologien, die den Transport von medizinischen Gütern und Alltagsgegenständen revolutionieren sollen. Besonders in der Schweiz hat das Unternehmen Pionierarbeit geleistet und arbeitet eng mit lokalen Partnern zusammen, um effiziente und nachhaltige Liefermethoden zu etablieren. Doch was braucht es, um Drohnenlieferungen zum Standard zu machen? Im Gespräch mit Tom Rehwinkel und Peter Trempeck geht es um technologische Herausforderungen, soziale Akzeptanz und die Vision eines autonomen Liefernetzwerks.

Matternet: https://www.matternet.com

Interview

Riva Pinto: Was ist der Fokus des Unternehmens Matternet und in welchen Märkten seid ihr aktiv?

Tom Rehwinkel: Matternet wurde 2011 gegründet und hat seit 2017 in der Schweiz Pionierarbeit im Bereich BVLOS-Flüge (Beyond Visual Line of Sight) geleistet. Wir waren die ersten, die in der Schweiz und weltweit in städtischen Gebieten BVLOS-Flüge für medizinische Lieferungen durchgeführt haben, wie beispielsweise den Transport von Blutproben zwischen Spitälern. Unser Fokus liegt derzeit auf dem medizinischen Transport, insbesondere von Blutproben, Zytostatika und anderen medizinischen Gütern. In Zürich arbeiten wir eng mit Krankenhäusern wie Triemli und Waid zusammen, und wir sehen großes Potenzial, stadtweite Netzwerke für medizinische Lieferungen aufzubauen. Auch in anderen Städten wie Berlin und in den USA planen wir, Drohnen für Essenslieferungen und auch E-Commerce zu nutzen.

Pinto: Das klingt spannend. Was ist das Besondere an eurer Drohnentechnologie?

Rehwinkel: Unsere Drohnen sind selbstentwickelt und haben eine Payload Box mit bis zu 2 Kilogramm Nutzlast. Wir sind derzeit dabei, eine neue Drohne zu entwickeln, die mit einem sogenannten "Tether Drop"-System ausgestattet wird. Dies ermöglicht es, Pakete präzise an einem festen Punkt abzulassen, während die Drohne weiterfliegt. Diese Technologie erhöht die Flexibilität und erlaubt uns, Ad-hoc-Routen zu erstellen, etwa für medizinische Lieferungen oder auch für die Zustellung von Lebensmitteln oder E-Commerce-Paketen.

Pinto: Wie genau funktioniert das System?

Rehwinkel: Die Drohne kann ihre Payload an einem bestimmten Ort absetzen und dort schweben, bevor sie weiterfliegt. Das System bietet uns viel Flexibilität, da wir auf individuelle Anforderungen reagieren können. Wenn eine Apotheke oder ein Krankenhaus eine Lieferung benötigt, können wir binnen Minuten eine Route erstellen, die alle relevanten Vorgaben berücksichtigt.

Zustellung beim Kunden zu Hause in Mountain View, CA

Pinto: Matternet ist ursprünglich ein kalifornisches Unternehmen. Was hat euch dazu bewegt, einen Standort in der Schweiz zu eröffnen?

Rehwinkel: Der CEO von Matternet, der ursprünglich aus Griechenland stammt, hatte 2011 die Idee für Matternet nach seiner Zeit in London und den USA. Unser erster großer Schritt war, Drohnenflüge in Bhutan und Malawi durchzuführen, wo der Zugang zu medizinischer Versorgung schwierig ist. Bei einem Treffen mit dem CEO der Schweizer Post und Vertretern des BAZL entstand die Idee, das Modell auch in der Schweiz auszuprobieren. Die Schweiz bietet mit ihrer Innovationskraft und der lösungsorientierten Haltung des BAZL die perfekte Umgebung für Projekte wie unseres. Sie ist in vielerlei Hinsicht führend in der Drohnentechnologie. Das BAZL verfolgt einen pragmatischen Ansatz und unterstützt uns aktiv bei der Umsetzung neuer Ideen. Diese proaktive Denkweise hat uns geholfen, schnell voranzukommen, vor allem in Zusammenarbeit mit Krankenhäusern und Organisationen wie der Rega. In der Schweiz erleben wir eine bemerkenswerte Offenheit für neue Technologien.

Pinto: Was ist eure Vision für die Zukunft?

Rehwinkel: Unsere Vision ist es, ein Netzwerk von Drohnen zu schaffen, das wie öffentlicher Verkehr funktioniert. Zum Beispiel stellen wir uns vor, Drohnen mit Defibrillatoren an strategischen Orten in Zürich zu stationieren, damit sie bei Notfällen schneller am Einsatzort sind als Menschen zu Fuß. Generell geht es um ein stadtweites Logistiknetzwerk – von medizinischen Gütern bis hin zu alltäglichen Lieferungen wie Uhren oder Paketen.

Peter Trempeck: Derzeit begleiten wir die Flüge manuell, aber langfristig streben wir eine Automatisierung des Systems an. Drohnen sollen an Stationen ihre Batterien austauschen und Fracht aufnehmen, sodass das Netzwerk rund um die Uhr funktioniert.

Rehwinkel: Ab einer bestimmten Anzahl Drohnen können wir nur durch mehr Automatisierung und autonomes Fliegen skalieren. Ein Pilot kann nicht 10 oder 20 Drohnen gleichzeitig steuern, und die Automatisierung hilft, die Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern.

Pinto: Wo liegen die größten Herausforderungen für eure Vision?

Rehwinkel: Eine der größten Hürden ist das "See and Avoid"-Prinzip im unkontrollierten Luftraum. Drohnen müssen in der Lage sein, andere Flugobjekte zu erkennen und ihnen auszuweichen. Das Problem ist, dass viele Flugobjekte im Luftraum, wie etwa Drohnen, nicht sichtbar sind, da es keine Transponderpflicht gibt. Eine Lösung wäre, die Sichtbarkeit durch Technologien wie Transponder oder ADS-B zu erhöhen.

Trempeck: Automatisierung ist ebenfalls eine Herausforderung, die kontinuierliche Verbesserung erfordert. Wir arbeiten an der Weiterentwicklung unserer Systeme, um Drohnenflüge sicher, effizient und zuverlässig zu gestalten. Es ist ein fortlaufender Prozess.

Rehwinkel: Ein weiterer wichtiger Punkt ist die soziale Akzeptanz. Bei medizinischen Lieferungen, wie Defibrillatoren, ist die Akzeptanz hoch, aber bei alltäglichen Hauslieferungen gibt es noch Bedenken. Der Lärm und die Wahrnehmung spielen hier eine grosse Rolle. Die Akzeptanz steigt, wenn der Nutzen klar wird. Wenn die Menschen verstehen, wie Drohnen wirklich helfen können, kann die Skepsis schwinden. Daher ist Aufklärung so wichtig. Wir setzen auf direkte Erlebnisse, zum Beispiel durch Roadshows, bei denen Menschen die Drohnen selbst erleben können. Wenn sie sehen, dass die Drohnen leise sind und keine Kameras haben, verstehen sie besser, wie sie funktionieren und dass ihre Privatsphäre geschützt bleibt. Diese Art der Kommunikation ist entscheidend, um Vertrauen zu schaffen und Missverständnisse zu vermeiden.

Matternet M2 fliegt über Lugano